OK

Cookies ermöglichen eine bestmögliche Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Seite erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.
Mehr Infos


Bitte beachten: Dieses ist ein klassischer Parkscout-Artikel, der bestmöglichst an das neue Layout angepasst wurde
22.11.2011 | Freizeitparks | Kolumnen

Der tanzende Rocky


Kennen Sie noch Rocky Balboa? Die Boxer-Schmonzette von 1976 mit Sylvester Stallone kommt mehr als 35 Jahre nach ihrem Kino-Debut demnächst zu neuen Ehren: Nein, dabei handelt es sich nicht, wie man vielleicht vermuten könnte, um ein Reboot für die große Leinwand, sondern um den neuen großen Coup von Stage Entertainment, die im nächsten Jahr tanzende und singende Klitschkos nach Hamburg bringen wollen.

Da hat sich der Magen schon gefreut, sich höchstens noch bei irgendwelchen RTL-Chart-Shows während der ersten Takte von Survivals "Eye of the Tiger" verkrampfen zu müssen, und schon zerrt das Musical-Unternehmen den Song aus der verdienten Ecke der schon lange vergessen geglaubten Geschmacksverirrungen der 70er Jahre in das Rampenlicht der Gegenwart. "Dirty Dancing", "Hinterm Horizont", "Ich war noch niemals in New York", "Ich will Spaß" - so lauten die Titel der musikalischen Resteverwertung, mit denen die Musical-Freunde nun schon seit Jahren von Stage Entertainment beglückt werden. Fast scheint es völlig egal, ob sich das Thema nun für ein Musical eignet oder nicht – ein Nummer-Eins-Hit reicht den Verantwortlichen offensichtlich völlig aus, um daraus ein Singspiel für die ganze Familie zu fabrizieren. Wie man sich das ganze vorstellen mag? Man weiß es noch nicht, aber folgender Ablauf wäre durchaus denkbar: Rockys Trainer warnt ihn mit geheimnisvollem Tremolo "Er hat nen Hammer wie ein Schmied – dein Gegner ist Apollo Creed". Darauf dreht sich Rocky um, tanzt zusammen mit drei farbigen Sparring-Partnern vor einer Projektion der Stars and Stripes und singt lauthals "Den Typen schlag ich grün und blau, für mich und meine liebe Frau". Und spätestens wenn Rocky dann den Endkampf nicht gewonnen hat und mit einem blauen Auge debil in den Zuschauerraum grinst, singt die gesamte Cast "Aus USA und nicht Samao stammt der Star Rocky Balboa. Er ist des Teufels Faustkampf-Geiger, here he comes: Eye of the Tiger", während ein Konfettiregen auf das Publikum niederprasselt.

Ja, so könnte es wohl aussehen, wenn die Fäuste fliegen und die Boxer tanzen. Die Frage, die ich mir nur stelle, ist: Wer zum Teufel will das sehen?! Während zahlreiche hochklassige Musicals immer noch nicht den Weg nach Deutschland geschafft haben, setzt Stage Entertainment immer noch verstärkt auf Eigenproduktionen – statt Broadway gibt es Hausmannskost auf niedriger Flamme, aber dies natürlich für den Eintrittspreis einer High-End-Produktion. Ich wage zu prophezeien, dass das Rocky-Musical ein Rohrkrepierer allererster Güte werden wird, denn ein einziger abgeschmackter Charts-Hit von annodazumal kombiniert mit einer Geschichte, die dem heutigen Zeitgeist in etwa soviel entspricht wie die Hawaii-Hemden von Jürgen von der Lippe, wird nicht funktionieren.

Trotzdem bleibt zu befürchten, dass wir in Deutschland in absehbarer Zeit weder in den Genuss von "Mary Poppins" oder "Avenue Q" kommen werden, wenn die bisherige Ausrichtung der Stage Entertainment so beibehalten wird. Was kommt stattdessen? Wenn man sich die Film- und Musikgeschichte der 70er und 80er Jahre anschaut, erwartet uns dann eher das SF-Musical "Der letzte Countdown" mit einem der schrecklichsten Songs ever, "The Final Countdown" von Europe. Und auch "Top Gun" wäre ein heißer Kandidat für die nächste Stage-Entertainment-Großproduktion. Dafür kann man ja dann noch "König der Löwen" oder "Tarzan" in Rente schicken. Meinen nächsten Musical-Besuch sollte ich wohl langsam eher in London einplanen...

Bitte beachten
Die Texte der Kolumnen-Autoren sind deren persönliche Meinung und decken sich nicht zwangsläufig mit der Meinung der Redaktion Parkscout.

Autoreninfo Mike Vester

Mike Vester beschäftigt sich bereits seit seiner Jugend mit dem Thema Freizeitparks / Kirmes und gehört heute zu den wichtigsten Autoren der Parkscout-Fachredaktion. Sein Hang zu Polemik und Übertreibungen ist zwar legendär, aber wer genau hinhört, merkt schnell, daß er mit seinem Motto "zeitlos, stillos, geschmacklos" zwischen den Zeilen immer genau den Punkt trifft. Der frühere Kleinkunst-Texter ist überzeugter Fan von allem, was mit dem Thema "Disney" zu tun hat und läßt dies auf seine liebenswert schrullige Art auch sicherlich öfter in seine Kolumne einfließen. In diesem Sinne also: Immer vester druff...

© parkscout/MV