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08.07.2013 | Magazin | Gärten | Freizeitparks

Das älteste Karussell der Welt


Man schreibt das Jahr 1780: Im Heiligen Römischen Reich verursachen der Dualismus zwischen Preußen und Österreich sowie das Denken der Aufklärung Kontroversen über eine Lockerung des Reichsverbandes und über die Idee der Gleichheit aller Menschen, in Südamerika kommt es zu einem großen Indianeraufstand unter José Gabriel Condorcanqui, Johann Wolfgang von Goethe schreibt "Wanderers Nachtlied" und die persische Region Täbris wird von einem Erdbeben verwüstet. Und: in Hanau, heute zu Hessen gehörig, wird ein Karussell gebaut.

Alte Postkarte des Karussells © Stefan Bahn



Bereits ein Jahr zuvor war die nach dem Erbprinzen und regierenden Grafen von Hanau, Wilhelm IX./I. von Hessen-Kassel, benannte Bade- und Parkanlage Wilhelmsbad in Hanau eröffnet worden, und schon zu Beginn erfreute sich das Fahrgeschäft einer großen Beliebtheit nicht nur bei den kleinen, sondern auch und gerade bei den großen Besuchern. Damals war ein Karussell nämlich noch alles andere als ein Kinderspielgerät. Noch heute erinnern Synonyme, wie das im süddeutschen Raum verwendete "Reitschule" oder das vor allem in Österreich benutzte "Ringelspiel" an die ursprüngliche Funktion der früher wie heute beliebten Fahrgeschäfte.

Um diese zu begreifen, müssen wir einen kurzen Abstecher ins Mittelalter unternehmen. Damals nämlich diente ein Vorläufer des heutigen Karussells der Ausbildung und dem Training der Ritter. Auf einer sich drehenden Plattform sitzend mussten diese versuchen, die rund um dieses "Karussell" angeordneten Ringe mit ihrer Lanze zu treffen. Genau dieses "Ringelspiel" gehörte auch zum Angebot des Hanauer Karussells. Darüber hinaus konnte man hier aber auch einen Drachen mit der Lanze töten, Bälle in den aufgerissenen Mund eines Mohren werfen oder – auch dies war seinerzeit vor dem Hintergrund der jahrhundertelangen Auseinandersetzungen zwischen Ost und West ein beliebter Zeitvertreib – Türkenköpfe absäbeln.

Inspiration für Goethe

Gerade die gehobene Gesellschaft gefiel sich in jenen Ritterspielen, und die begleitenden Damen konnten bequem in den Kutschen Platz nehmen und so am Geschehen teilhaben. Das Angebot im Hanauer Karussell ließ selbst die Prominenz dieser Tage nicht kalt. Sogar Goethe ließ sich hier im Kreis drehen und soll bei der Jagd nach Ring oder Drache sogar die Inspiration für eine Szene seiner "Iphigenie auf Tauris" erhalten haben.

Das Hanauer Karussell im Jahre 2006 © Stefan Bahn

In den Anfangsjahren standen den "Rittern" in Hanau sechs Pferde und zwei Wagen zur Verfügung, wobei die spezielle Befestigung der Pferde für ein realistisches Reitvergnügen sorgte. Diese wurden mit Hinterhand und Schweif an einem Laufstreifen befestigt und so in Galoppstellung gehalten. Der hierzu verwendete Bügel gab unter den Reitern federnd nach, eine Gewichtsverlagerung brachte die Tiere also zu einer Auf- und Ab-Bewegung, die den natürlichen Vorbildern nahekam. Aber auch zum Bewegen des Karussells als solches war zunächst menschliche Muskelkraft gefragt. Das Laufrad, auf dem sich Kutschen und Pferde befanden, war mit einem Drehstiel verbunden, der wiederum mit Querstangen versehen war, die von Menschen, später auch von Pferden und Maultieren, angeschoben wurden.Die Besonderheit des Hanauer Karussells bestand übrigens darin, dass sich der innere Boden nicht, wie sonst üblich, mit bewegte. Er war vom Laufrad getrennt und an der Deckenkonstruktion befestigt. Einmalig, aber leider nicht für die Ewigkeit bestimmt, denn, wie später noch deutlich werden soll, war es genau diese Konstruktion, die später zur Stilllegung des Karussells und beinahe zum kompletten Abriss führen sollte. Zunächst allerdings lief alles rund, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes ...

© parkscout/US